Der "Prolog im Himmel" ist der letzte von den drei Texten, die der Tragödie vorangestellt sind. Es ist ein klassischer Prolog, der dem Publikum den Einstieg in das Theaterstück erleichtern soll, indem es die wichtigsten Personen sowie den Konflikt vorstellt und einen Teil der Handlung, womöglich sogar das Ende andeutet.
Zu Beginn sprechen die drei Erzengel Raphael, Gabriel und Michael und preisen die Schöpfung des Herren ("Und alle deine hohen Werke / Sind herrlich wie am ersten Tag", V. 269-270) und seine Allmächtigkeit. Diese wird beispielsweise in den Versen 252-253 deutlich, in denen Gabriel von dem Wechsel zwischen "Paradieseshelle" (V. 252) und "tiefer, schauervoller Nacht" (V. 253) beschreibt. Dieses Beispiel zeigt, dass Gott sowohl über die unendliche Schönheit des Paradieses als auch über die Tiefe und Ungewissheit der Nacht verfügt und nach seinem Willen walten lassen kann. Den Engeln zufolge hat Gott ein sanftes Wesen, welches sie verehren (Vgl. V. 265-266). Im Gegensatz dazu wirft Mephistopholes dem Herrn vor, sich nicht recht um die Menschen zu kümmern ("Ich sehe nur, wie sich die Menschen plagen.", V. 280) und behauptet, der Mensch würde besser leben, hätte Gott "ihm nicht den Schein des Himmelslichts gegeben" (V. 284). Denn der Mensch eifere nun diesem Schein hinterher, jedoch bleibe er dabei erfolglos, was ihn wiederum unglücklich mache. Der "Schein" (V. 284) kann dabei zwei Bedeutungen annehmen: Zum einen den Schein des Lichtes, welcher als Symbol für die Erkenntnis steht. Andererseits kann der Schein auch für das Scheinbare, nicht Reale stehen. In diesem Fall würde Mephistopholes anzweifeln, dass es das wahre Himmelslicht, die echte zu Gott führende Erkenntnis überhaupt gibt. Daraufhin gehen Mephistopholes und der Herr eine Wette ein. Mephistopholes ist davon überzeugt, er könne Faust, einen Doktor, der die Wege des Herren erforscht, von dem Glauben an Gott abbringen. Der Herr geht die Wette ein und gestattet Mephistopholes den Versuch, "solange er auf der Erde lebt" (V. 315). Da Gott derjenige ist, der die Regeln für diese Wette aufstellt und der christlichen Theorie zufolge auch über Leben und Tod der Menschen entscheidet, scheint die Niederlage des Mephistopholes bereits beschlossen. Der Satz "Es irrt der Mensch, solang er strebt" (V. 317) zeigt außerdem, dass es für Gott nicht wichtig ist, ob der Mensch ihm zweifelsfrei gehorcht oder nicht. Wichtig ist für ihn bloß, dass er den Glauben anstrebt und sich versucht, der Versuchung durch den Teufel zu widersetzen. Er räumt dem Menschen aber Fehler und Irrtümer ein. Diese Toleranz verschafft ihm einen weiteren Vorteil gegenüber Mephistopholes, dem es zum Gewinnen der Wette gelingen muss, dass sich Faust endgültig von Gott abwendet.
Mit der Wette um den "Urquell" (V. 324) des Menschen, stellt Goethe zunächst das Wirken Gottes zur Diskussion. In der christlich orientierten Gesellschaft des 19. Jahrhunderts zweifelten nur wenige an der Existenz Gottes. Sie nahmen ihn als oberste Instanz wahr und betrachteten ihn als selbstverständlich. Möglicherweise fordert Goethe den Menschen mit dieser Frage zu mehr Reflexion oder einem bewussteren Glauben auf. Allgemeiner thematisiert der Dichter damit die Grundsatzfrage, ob der Mensch gut oder böse sei, ob er sich im Zweifel für den rechten oder den unrechten Weg entscheiden würde.
In Bezug auf das "Vorspiel auf dem Theater" vereint Goethe mit dieser Frage alle drei Ansprüche an das Theater. Die vom Dichter geforderte Tiefe des Stücks ist mit einer derart komplexen Frage ebenso gegeben wie die vom Direktor gewünschte Sensation, die durch die Erschütterung eines für selbstverständlich erklärten Weltbildes hervorgerufen wird. Da sich vermutlich die meisten Menschen bereits einmal zwischen dem rechten und dem unrechten Weg entscheiden mussten, findet sich auch jeder in diesem Theaterstück wieder, womit auch der Anspruch der lustigen Person erfüllt wäre, das Publikum durch Vorführen des eigenen Verhaltens zu belehren.
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